Lesung Sally Perels am Braunschweig-Kolleg

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Vergessen bedeutet Exil, Erinnern ist Erlösung.“

Sally Perel besuchte das Kolleg und Abendgymnasium in Braunschweig

Sally Perel

Am 5. Und 6. Mai 2015 folgte der inzwischen 90jährige Sally Perel, weltweit bekannt durch seine Autobiographie „Ich war Hitlerjunge Salomon“, einer Einladung des Kollegs und Abendgymnasiums Braunschweig, um in zwei Veranstaltungen über sein Leben als Jude unter der NS-Diktatur zu berichten. In der vollbesetzten Aula schilderte er, wie er als Hitlerjunge, „versteckt in der Haut des Feindes“, den Todeslagern entkommen sei.

Vor dem Beginn seiner nationalsozialistischen „Karriere“ habe allerdings eine mehrjährige Flucht gelegen, die 1938 in seinem Geburtsort Peine begonnen habe, und beinahe mit der Einweisung ins berüchtigte Ghetto von Lodz beendet worden sei. Sallys Eltern hätten ihn vor dem sicheren Tod bewahrt, indem sie ihn mit seinem Bruder Isaak auf die Flucht gen Osten in die damalige Sowjetunion geschickt hätten. Im Gepäck zwei Forderungen: „Bleibe immer Jude und deinem Gott treu, dann wird er dich beschützen!“, habe der Vater verlangt, „Du sollst leben!“, hingegen die Mutter. Zwei Jahre später, unmittelbar nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die damalige Sowjetunion, habe Sally nur noch die Antwort auf die Frage „Bist du Jude?“ von einem SS-Erschießungskommando getrennt. Mit der Behauptung, er wäre Volksdeutscher, habe er zwar gegen das Gebot des Vaters verstoßen, aber gleichzeitig der Mutter gehorcht. „Keine Religion kann von einem Menschen verlangen, für sie in den Tod zu gehen. Das Recht auf Leben steht über allem!“ Und wie durch ein Wunder hätten ihm die Todesschützen geglaubt, denn er sei nicht wie alle anderen kontrolliert worden, ob er nach jüdischer Tradition beschnitten worden sei. „Wenn die Wahrheit dir den Tod bringt, dann lüge!“ Es seien vier Jahre gefolgt, „vier Ewigkeiten“, in denen die Lüge sein lebensrettender Begleiter geworden sei. Tagsüber habe der Hitlerjunge Joseph, von den Kameraden liebevoll „Jupp“ genannt, „Sieg Heil!“ geschrien, nachts der Jude Sally heimlich in die Kissen geweint. „Während ich unter den Feinden das Hakenkreuz trug, starben meine Glaubensbrüder in Auschwitz. Ich war damit Täter und Opfer zugleich!“ Die allgegenwärtige Angst vor der Entdeckung und die tagtägliche Manipulation durch die Nationalsozialisten seien dabei so groß gewesen, dass er manchmal sogar den Juden Sally gehasst habe. „Die Ideologie des Hasses machte selbst vor mir nicht Halt. Ich war mein eigener Feind.“ Schließlich habe sich Sally Perel 1945 bei der Verteidigung Braunschweigs im „Volkssturm“ wiedergefunden und mit einer Panzerfaust bewaffnet für den Endsieg derjenigen gekämpft, die für den Tod seiner Familie und Millionen von Juden verantwortlich gewesen seien. Auch hier beherrscht von der Schizophrenie seines inzwischen vierjährigen Daseins: „Als  Hitlerjunge wollte ich das deutsche Vaterland retten, als Jude das eigene Leben, allerdings niemals auf Kosten eines anderen.“ So sei seine Waffe stumm geblieben,  bevor er in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten sei und seinen Bruder Isaak im Konzentrationslager Dachau wiedergefunden habe. Drei Jahre später sei er von München nach Israel ausgewandert. „Niemals mehr wollte ich in einem Land leben, wo ich zu einer Minderheit gehöre. Selbst wenn Deutschland bis heute mein Mutterland geblieben ist.“

In der anschließenden Gesprächsrunde offenbarten die Zuhörer, was sie am meisten beeindruckt habe: Frei von Verbitterung, Wut oder gar Hass habe sich Sally Perel als ein Mensch voller Lebensfreude, Liebe und Humor erwiesen, dem selbst Auschwitz den Glauben an das Gute im Menschen nicht habe nehmen können. Darüber hinaus interessierte die Zuhörer vor allem, welche Reaktionen es nach dem Krieg auf seine Überlebensstrategie gegeben habe, und zwar sowohl von Seiten der Juden als auch seiner ehemalige Kameraden aus der Hitlerjugend. „Sie hatten Verständnis dafür, dass ich nie ein Held sein konnte, sondern immer ein Anti-Held sein musste, um am Leben zu bleiben.“ Allerdings habe er vierzig Jahre gebraucht, um sein Geheimnis preiszugeben und in einer Autobiographie niederzuschreiben. „Der Kampf der zwei Seelen in meiner Brust hätte mich ansonsten zerstört.“ Und bis heute sei er noch immer nicht beendet. „Der Hitlerjunge Jupp wird mich bis ans Ende meiner Tage begleiten.“ Bis dahin wolle er auch seine Vortragsreisen unermüdlich fortsetzen. „Wir Zeitzeugen sterben aus. Deshalb mache ich Sie zu Zeitzeugen, damit Sie nachfolgenden Generationen von unserem Schicksal berichten können.“ Die Zuhörer reagierten eindeutig auf diesen Appell Sally Perels: „Ich sehe, Sie nehmen diesen Auftrag an.“

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