Wenn Briefe töten können

zurück zu:

Eine Lesung am Braunschweig-Kolleg über das Scheitern einer Freundschaft zur Zeit des Nationalsozialismus

„Adresse unbekannt“, ein Briefroman der amerikanischen Autorin Katherine Kressmann Taylor aus dem Jahr 1938, berührte, erschütterte und irritierte am Mittwoch, dem 14. April 2016, in der Aula des Braunschweig-Kollegs seine Zuhörer. Denn er offenbart in gerade einmal achtzehn fiktiven Briefen und einem Telegramm, wie innerhalb kürzester  Zeit aus tiefer Freundschaft eine tödliche Feindschaft wird. Zwei Deutsche, ansässig in San Francisco (Kalifornien), führen gemeinsam sehr erfolgreich eine Kunstgalerie. Ihre Wege trennen sich, als Martin Schulse 1932 mit seiner Familie nach München übersiedelt und sein jüdischer Freund und Geschäftspartner Max Eisenstein  in Amerika zurückbleibt. Knapp zwei Jahre später endet der Briefwechsel, der Zeugnis ablegt von der ganzen Tragödie menschlichen Versagens in der Zeit des Nationalsozialismus, wo Ideale verraten, Freunde im Stich gelassen und der Tod einst liebgewonnener Menschen hingenommen oder sogar bewusst verschuldet wird.

Johannes Heinen und Michael Westphal trugen die Passagen des Briefwechsels sehr einfühlsam und ohne übertriebenen Pathos vor und gaben somit dem Text die Möglichkeit, seine volle Wirkung auf seine Zuhörer zu entfalten. Eingerahmt wurde der Lesevortrag durch Karin Cukrowski, die als Sprecherin Informationen zu Absender, Adressaten und Verfassungszeiten der einzelnen Briefe gab und somit dem Publikum eine hilfreiche Orientierung bot. Einen besonderen Akzent setzte das musikalische Duo „Unterwegs“ unmittelbar vor und nach dem Lesevortrag. Mit Liedern, u.a. von Zupfgeigenhansel und Hannes Wader,  besangen Andreas Kersting und Michael Westphal die Trauer um den erzwungenen Verlust der Heimat ebenso wie die Gefahr, von anderen manipuliert und für deren Zwecke missbraucht zu werden, und hoben somit auf eindringliche Art und Weise zentrale Themen des Briefromans hervor.

 

KONICDIGITAL CAMERA

Johannes Heinen las die Briefe des Juden Max Eisenstein, der 1932 in San Francisco (Kalifornien) blieb und mit Entsetzen die Veränderungen seines Freundes Martin Schulse wahrnehmen musste

 

KONICA MINOLTA DIGITAL CAMERA

Michael Westphal beim Vortrag der Briefe des seit 1932 in München lebenden Martin Schulse, der nach und nach zum überzeugten Nationalsozialisten wurde

 

KONICA MINOLTA DIGITAL CAMERA

Das Duo „Unterwegs“ mit Michael Westphal und Andreas Kersting eröffneten und beendeten die Lesung mit Liedern u.a. von Zupfgeigenhansel und Hannes Wader

Kommentar schreiben

Kommentar